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Title
Walter Eucken. Ein Leben für Menschenwürde und Wettbewerb


Author(s)
Gräfin von Klinckowstroem, Wendula
Published
Tübingen 2023: Mohr Siebeck
Extent
367 S.
Price
€ 39,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Arndt Christiansen, Bundeskartellamt, Bonn

Wendula von Klinckowstroem gelingt es auf ebenso überzeugende wie lesenswerte Weise, den deutschen Nationalökonomen Walter Eucken (1891–1950) als Wissenschaftler, aber vor allem als Menschen mit vielen Facetten zu zeigen. Ihr Ziel benennt sie selbst mit wünschenswerter Klarheit: „In dieser Studie steht der Mensch Walter Eucken im Mittelpunkt“ (S. 2). Weiter präzisiert sie: „Es gilt hier, den Beziehungen, Prägungen und Wirkungen seines arbeitsreichen Lebens nachzuspüren, um mehr über den Menschen Walter Eucken zu erfahren“ (S. 3). Diesem selbst gesteckten Ziel wird das vorliegende Werk vollauf gerecht. Allerdings scheint die Kehrseite dieser menschlichen Nähe der Verzicht auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem Protagonisten zu sein. Sie findet jedenfalls nicht statt.

Das zu besprechende Werk ist die erste biographische Studie zu Walter Eucken.1 Damit wird eine große Lücke geschlossen, die bisher in der Literatur zur Geschichte der deutschen Wirtschaftswissenschaften klaffte. Die Existenz der Lücke verwundert etwas angesichts der großen Bedeutung Walter Euckens für die deutsche Nationalökonomie und für die Wirtschaftspolitik vor allem in der Nachkriegszeit. Umso mehr ist der Lückenschluss zu begrüßen.

Die große Bedeutung Euckens beruht auf seiner Mitwirkung an der so genannten Freiburger Schule.2 Neben den (Wirtschafts-)Juristen Franz Böhm (1895–1977) und Hans Großmann-Doerth (1894–1944) zählte er zu deren Begründern. Von Klinckowstroem schildert auf anschauliche Weise, wie diese interdisziplinäre Lehr- und Forschungsgemeinschaft sich in den 1930er-Jahren an der Fakultät für Rechts- und Staatswissenschaften der Universität Freiburg entfaltete – und wie Walter Eucken sie maßgeblich prägte. Deren Ansatz wird auch als Ordoliberalismus bezeichnet. Gemeinhin wird damit vor allem die spezifische wirtschaftspolitische Konzeption bezeichnet. Demnach soll sich der Staat auf die (Durch-)Setzung von Regeln fokussieren („Wirtschaftsordnung“). Darin kann sich dann der Wirtschaftsprozess (weitgehend) frei von staatlichen Eingriffen zum allseitigen Nutzen vollziehen. Von zentraler Bedeutung für die ökonomische Leistungsfähigkeit und zugleich für die angestrebte Begrenzung wirtschaftlicher Macht ist dabei die Sicherung des Wettbewerbs. Eucken prägte dafür den treffenden Begriff der „Wettbewerbsordnung“.

In der Nachkriegszeit übten das ordoliberale Gedankengut und auch die Ordoliberalen in persona großen Einfluss auf die westdeutsche (Wirtschafts-)Politik und die Entwicklung der „Sozialen Marktwirtschaft“ aus.3 Von Klinckowstroem beschreibt hier etwa die intensive Gutachtertätigkeit Euckens für die Alliierten nach Kriegsende. Besonders stark und nachhaltig war der ordoliberale Einfluss im Übrigen auf die Entwicklung des Kartellrechts in Deutschland und Europa.4

Von Klinckowstroem konzentriert sich gemäß ihrer Zielsetzung vor allem auf den Lebensweg ihres Protagonisten und die Menschen, die ihn beeinflussten. Als früheste Prägung nennt sie den Vater. Rudolf Eucken (1846–1928) war seit 1874 Ordinarius für Philosophie an der Universität Jena und trat für allgemein verbindliche Werte im Sinne der so genannten Lebensphilosophie ein. Zahlreiche weitere Beziehungen und Freundschaften finden Erwähnung. Insgesamt wird der Eindruck von Eucken als eines sehr erfolgreichen Netzwerkers vermittelt. Seine Kontakte beschränkten sich nicht nur auf Ökonomen, sondern sie umfassten auch den Expressionisten August Macke, den Bildhauer Richard Engelmann, den Historiker Gerhard Ritter und den Philosophen Edmund Husserl, um nur die am ausführlichsten Behandelten zu nennen. Natürlich bildeten auch die Ordoliberalen – zunächst in Freiburg und bald darüber hinaus – ein sehr erfolgreiches Netzwerk. Weniger Kontakte hatte Eucken dagegen international, aber dies war auch der Abschottung Deutschlands durch das NS-Regime und dem Zweiten Weltkrieg geschuldet. Danach suchte Eucken unmittelbar den Anschluss und engagierte sich zum Beispiel in der von Hayek initiierten Mont Pélérin Society.

Ausführlich behandelt das vorliegende Buch auch das Verhalten Euckens während der NS-Zeit. Von Klinckowstroem schildert insbesondere Euckens Widerstand gegen das Regime.Vordergründig behielt Eucken seinen Lehrstuhl in Freiburg und bot – ausweislich des Verzeichnisses im Anhang – auch durchgängig Lehrveranstaltungen an. Allerdings lehnte er von Anfang an den Nationalsozialismus ab, und dies bezeugte sein Handeln vielfach. So widersetzte sich Eucken als Mitglied des Senats der nationalsozialistischen Universitätspolitik während des Rektorats des Philosophen Martin Heidegger. Er unterstützte auch die vom NS-Regime mit Berufsverbot belegten Husserl und Engelmann. Insbesondere beteiligte sich Eucken aktiv an mehreren so genannten Freiburger Kreisen etwa ab dem Jahr 1938. Gegenstand der Arbeit waren insbesondere die kritische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Wirtschaftslenkung und die Entwicklung einer alternativen wirtschaftspolitischen Konzeption.

Nur vergleichsweise wenig Raum wird dem wissenschaftlichen Werk des Protagonisten gewidmet. Die wichtigsten Bücher („Hauptwerke“) behandelt von Klinckowstroem auf wenigen Seiten. Am ausführlichsten geht sie auf die im Jahre 1940 erschienenen „Grundlagen der Nationalökonomie“ ein, in denen Eucken die methodologischen und theoretischen Grundlagen des spezifisch ordoliberalen Ansatzes systematisch ausbreitete.5 Schon deutlich knapper fällt die Behandlung der posthum erschienen „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ aus, in denen die wirtschaftspolitischen – oder besser gesagt ordnungspolitischen – Folgerungen umfassend dargelegt sind.6 Für die im Jahre 1914 abgeschlossene Dissertation ebenso wie für die Habilitationsschrift aus dem Jahre 1921 müssen jeweils ein bloßer Absatz genügen.7 So bleibt der Inhalt dieser frühen Werke weitestgehend im Dunklen. Für eine wissenschaftliche Biographie wäre dies inakzeptabel, aber darin besteht ja nicht die Zielsetzung des vorliegenden Werks. Gleichwohl wäre es interessant, mehr über das frühe Werk Euckens zu erfahren, das noch ganz unter dem Einfluss der seinerzeit in Deutschland vorherrschenden Historischen Schule stand, nicht zuletzt um Euckens spätere Abkehr davon besser zu verstehen.

Alles in allem gelingt es von Klinckowstroem mit der ersten Biographie Walter Euckens nicht nur, eine Lücke in der wissenschaftsgeschichtlichen Literatur zu schließen. Sie bietet auch eine lesenswerte Darstellung des Lebenswegs ihres Protagonisten und seiner vielfältigen Kontakte und Beziehungen. Ihrem selbst gesteckten Ziel, den Menschen Walter Eucken in den Mittelpunkt zu stellen, wird sie durchgehend gerecht. Im Ergebnis ist ihr zuzustimmen, wenn sie feststellt: „Es lohnt sich, die Erinnerung an ihn lebendig zu halten“ (S. 3). Dazu wird das vorliegende Werk zweifellos beitragen. Es fügt sich ein in die Arbeit des Freiburger Walter Eucken Instituts, zu dessen Team die Autorin gehört.8 Gegenwärtig wird dort zum Beispiel die Edition von Walter Euckens Gesammelten Schriften betreut, deren weitere Bände mit Spannung zu erwarten sind.9

Anmerkungen:
1 So auch Lars Feld in seinem Vorwort, S. VII. Offenkundig baute die Autorin dabei auf eine frühere von ihr verfasste „biographische Skizze“ auf, nämlich Wendula Gräfin von Klinckowstroem, Walter Eucken. Eine biographische Skizze, in: Lüder Gerken (Hrsg.), Walter Eucken und sein Werk. Rückblick auf einen Vordenker der sozialen Marktwirtschaft, Tübingen 2000, S. 53–115.
2 Vgl. unter anderem Hauke Janssen, Walter Eucken, in: Heinz D. Kurz (Hrsg.), Klassiker des ökonomischen Denkens, Bd. 2, München 2009, S. 187–204; Viktor J. Vanberg, The Freiburg School: Walter Eucken and Ordoliberalism, in: Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik 4/11, https://www.eucken.de/app/uploads/04_11bw-1.pdf (30.01.2024); Bertram Schefold, Ordoliberalism as a new synthesis of earlier German economic thought, Contribution to Oxford Handbook of Ordoliberalism, edited by Thomas Biebricher, Werner Bonefeld and Peter Nedergaard, https://www.wiwi.uni-frankfurt.de/fileadmin/user_upload/dateien_abteilungen/abt_ewf/Economic_Theory/publications/Ordoliberalismus_270320.pdf (30.01.2024); Raphaël Fèvre, A Political Economy of Power. Ordoliberalism in Context, 1932-1950, New York 2021.
3 Vgl. auch Ludwig Erhard, Franz Böhms Einfluss auf die Politik, in: Heinz Sauermann und Ernst-Joachim Mestmäcker (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung. Festschrift für Franz Böhm zum 80. Geburtstag, Tübingen 1975, S. 15–21.
4 Vgl. unter anderem David J. Gerber, Law and Competition in Twentieth-Century Europe. Protecting Prometheus, Oxford 1998; Anselm Küsters, The Making and Unmaking of Ordoliberal Language. A Digital Conceptual History of European Competition Law, Frankfurt am Main 2023.
5 Walter Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, Jena 1940.
6 Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Hrsg. von Edith Eucken und K. Paul Hensel, Tübingen 1952.
7 Walter Eucken, Die Verbandsbildung in der Seeschiffahrt, Dissertation, Bonn 1914; ders., Die Stickstoffversorgung der Welt. Eine volkswirtschaftliche Untersuchung. Stuttgart 1921.
8 Vgl. unter https://www.eucken.de/mitarbeiter/dipl-volksw-wendula-von-klinckowstroem/ (30.01.2024).
9 Vgl. unter https://www.mohrsiebeck.com/mehrbaendiges-werk/gesammelte-schriften-874900000 (30.01.2024) und https://www.eucken.de/publikationen/editionsprojekt-walter-eucken/ (30.01.2024).

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